Oderberger Puppentheater anno 1832

Im Jahre 1832 unternahm F.W.Gubitz eine Reise von Berlin nach Königsberg in der Neumark, um dort die Gründung einer Zeitung in die Wege zu leiten. Seine Reiseerlebnisse hat er aufgeschrieben. Für uns sind sie inzwischen ein wertvolles Dokment zur kreislichen Regionalgeschichte. Das folgende Zitat beschreibt den Auftritt von Puppenspielern im biedermeierlichen Oderberg.

Jetzt wußten wir, wo wir uns befanden, und nachdem die Pferde mit Anstrengung zurückgebracht, die Fährleute herbeigerufen waren, kamen wir bei Laternenschein in Oderberg an. Ein zwar nicht glänzendes, aber doch genügendes Quartier bei guten Wirtsleuten nahm uns auf; eingedenk meines Versprechens: an dem Abend dieses Tages in Königsberg Neumark zu sein, wollte ich nur den Pferden einige Rast gönnen und dann weiter. Man bedeutete mir aber, daß dies ganz unmöglich sei, denn der Weg von hier nach der Chaussee sei ein Abscheulicher; ich täte sogar gut, morgen früh einen Führer zu nehmen. Ich fragte hier und da und erhielt immer den nämlichen Bescheid, so daß ich die Nacht in Oderberg bleiben mußte.

Wir saßen eben bei einer warmen Suppe, da ließ sich von draußen eine Trommel vernehmen und ein Instrument, das eine Trompete zu sein versuchte: Das war das Lockzeichen eines Puppenspielers. Meine beiden Knaben sprangen freudig auf, und baten mich, mit ihnen ins Puppenspiel zu gehen; zu gleicher Zeit hörte ich, daß die Wirtskinder bei ihren Eltern ein gleiches taten, aber den Bescheid erhielten: nur für einen könnten sie dazu Geld hergeben. Ich sah ihrer drei und erbot mich, sie auf meine Kosten mitzunehmen, was zugestanden wurde. Nachdem ich aus unserem Zimmer mir den Mantel geholt hatte und wieder in die Wirtsstube hinunterkam, war sie mit Kindern angefüllt. ,,Sind das sämtlich die Ihrigen?" fragte ich die Wirtin, und die gute Frau antwortete verlegen: ,,Ach nein, ich weiß gar nicht, wo sie alle herkommen!" - der Puppenspieler hatte indes den Preis so mäßig gestellt, daß es nicht darauf ankam, wenn meine Suite sich etwas vergrößerte, und so zog ich an der Spitze von 11 Kindern in das Marionettenreich der Musen, das wir aber erst erobern mußten. Auf dem Hausflur machten wir Bekanntschaft mit der ganzen übrigen Jugend von Qderberg, die Kopf an Kopf gedrängt stand, um zu versuchen, ob nicht mit einem Zahlenden ein halbes Dutzend Freibeuter mit eindringen könnten. Ich ordnete an, daß von meiner Schar einer den anderen bei den Kleidern ergreife und halte; so drangen wir, ich voran, und meinem ältesten Knaben die Arriergarde anvertrauend, keilförmig ein.

Die Tür des etwas qualmigen Heiligtums tat sich vor mir auf, und ein gebieterisches "Halt!" drang aus der Kehle eines Mannes, der seit solange schon zum Invalidenstande zu gehören schien, daß seine Uniform halb zivil geworden war. Neben ihm saß eine Frau, ein Talglicht in die Höhe haltend, damit die verschiedenen Silbergroschen für den Eintritt gehörig gemustert werden könnten. Auf die Äußerung, daß ich für 12 zahlen würde, indem mir elf folgten, nahm mich der gute Mann, dem eine Zahlungsfähigkeit bis zu solchem Grade verdächtig erschien, in noch schärfere Kontrolle als die französische Deputiertenkammer den Finanzminister; er ließ für jeden einzeln bezahlen, förderte auch nur den einzelnen herein. Endlich rief er ,,Zwölf!" und schwaps, war die Tür zu - meine Arriergarde aber noch draußen. Richtig, hatten sich ein paar Freibeuter eingedrängt und ich mußte für zwei Personen mehr zahlen, um meinen Jungen und eines der Wirtskinder wieder dem Hauptkorps anschließen zu können. Die Sache war aber ihr Geld vollkommen wert! Zuerst schon das Lokal! Ein Schuhmacher, der nebenher Gastwirtschaft betreibt, hatte seine Werkstätte zum Musentempel umgestaltet; ein Paar ganz kleine Stiefel, offenbar nur für Liliputaner zu gebrauchen, wahrscheinlich eine Musterarbeit, hing an der Decke, die ehemalige Bestimmung des Lokals bezeichnend. Einige Bänke waren das ganze Gerät, und die Ofenbank diente zu Stehplätzen für das minorenne Publikum. Kaum hatten wir uns etwas umgesehen und einen Vorhang betrachtet, der Zeugproben aus allen Jahrhunderte enthalten und vollkommen geneigt schien, sich in Papier verwandeln zu lassen; kaum hatten wir zwei Geiger beschaut, die dicht am Vorhange saßen und sich gewaltig abarbeiteten, um aller Harmonie den Garaus zu machen; da hörte der eine - es war, wie wir nachher erfuhren, der Puppenprinzipal - plötzlich auf, die Darmsaiten zu martern, um sich mit einer körnigen Philippika gegen den Wirt zu wenden, der eben durch die Hintertür ein paar Zuschauer einließ. Vor aller Ohren wurde nun ermittelt, daß es des Wirtes Schwesterkinder seien. Da donnerte der Herr der Marionetten, mit seinem Geigenbogen die dickste Luft durchschneidend, seine Qrdnungsregeln dem Übeltäter entgegen und ließ dann zwar die Schwesterkinder frei ein, sie mußten aber zur Hintertür wieder hinaus und dann auf geradem Wege sich durcharbeiten; die Lehre war ihnen ganz gesund., wenn hier auch nur moralischerweise erfahren könnten, daß der gerade Weg der beste sei. - Indes hatte der Puppenspieler bald wieder seine schlechten Töne und seine gute Laune wiedergefunden: er bot während des Geigens den anwesenden Schönen seinen Kasperl zum Bräutigam an und trieb allerlei Späße, die an Derbheit zugaben, was ihnen an Humor abging. Endlich sprach er das gewichtige Wort der Verheißung: "Jetzt kann's losgehen!" und entfernte sich, seinem Kollegen den Kampf gegen die Harmonie allein überlassend, der sie auch ritterlich allein in die Flucht schlug. Der Vorhang erhob sich langsam, mit notwendiger Hilfe des nun auch in den Ruhestand versetzten zweiten Geigers und das Spiel begann; da indessen die Puppen nicht zureichten, so spielte auch das jüngste Söhnlein des Marionettendirektors mitten unter ihnen, zwar ohne sie zu übertreffen, aber doch durch seine Ungeschicklichkeit und Größe, denn die Puppen waren nur etwa zwei Fuß hoch, die drastische Wirkung ungemein verstärkend. Aufgeführt wurde die bekannte Puppentragödie: Wie ein General in seine Königin verliebt ist, den König zur Eifersucht reizt, einen Kammerherren betrunken macht, ihn in das Schlafgemach der Königin führt und dann bei der verstoßenen sein Glück versuchen will, endlich aber selbst in die Grube fällt, die er gegraben. Dazwischen treibt nun Kasperl als Vertrauter seine alten Späße.

Die ehrenwerte Versammlung war sehr anteilsvoll, am meisten aber der am Vorhange dicht vor der Theaterbeleuchtung von drei Lichtern sitzengebliebene Geiger, der zugleich die Rolle des Rezensenten übernahm. Er rief bei einer Szene dem Puppenspieler zu, dies sei nicht die rechte sie folge später; jener erwiderte hinter der Bühne: ,,Das schadet nicht ich bringe die ausgelassene nachher!" und ließ sich auch durch anderweitige Rügen nicht stören. - Das Publikum, wie jedes Publikum unserer Tage, mehr für die Komik als Tragik sich entscheidend, lachte auch bei einem ernsten Monolog, den der General zu halten hatte und wobei er versicherte, daß die Intrige schiefgehe und ihm verschiedene Donnerwetter auf den Kopf kommen würden. Voll Zorns über das unzeitige Gelächter erhob sich der Geiger und schrie das Publikum in einem Basse, wie er jetzt zu den Seltenheiten gehört an: ,,Bei dieser Stelle wird nicht gelacht!", und höchst erschrocken entfloh Komus aus allen Zügen. Bald darauf rief ihn Kasperl wieder herbei, es kam zu anhaltendem Gelächter, da indes sogleich der tragische General mit einem bedeutenden Moment folgen sollte, brauchte besagter Geiger Vorsicht und schrie abermals aus ungeschwächter Brust: "Bei dieser Stelle wird kurzab gelacht!"

In dieser Doppelkomödie ging es anderthalb Stunden so fort, und langab lachten wir, als in unserer Herberge vier Kinder nun den Verlauf des Spektakels der Mutter rapportierten."

Übernommen aus: Gubitz, F.W. ,,Reise von Berlin nach Königsberg in der Neumark im Jahre 1832"; Brandenburg 1930, 12, S.185-188 Q 36, S.73f

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